Das neue Gesetz stellt einzig und allein das Abstreiten der historischen
Realität des Völkermords an den Armeniern unter Strafe. Weder der Genozid an den
Herero im damaligen Deutsch-Südwestafrika ab 1904 noch der an den Tutsi in
Ruanda im Frühjahr und Frühsommer 1994 werden von dem neuen Gesetz erfasst. In
Bezug auf den Genozid in Ruanda war nichts anderes zu erwarten angesichts der
Tatsache, dass noch lebende und oft noch aktive französische Politiker und
Militäranghörige an diesem Völkermord zumindest indirekt beteiligt waren, dem
Untersuchungsbericht einer ruandischen Kommission zufolge (Jungle World, 33/08)
sogar direkt. Die Leugnung der wahren Dimensionen dieses Völkermords kam in
Frankreich bis vor etwa drei Jahren einer Staatsdoktrin gleich (Jungle World,
3/12). Es ist wesentlich bequemer, die Leugnung eines Völkermords unter Strafe
zu stellen, der sich vor mehr als 90 Jahren auf fremdem Staatsgebiet ereignet
hat.
Dass die französische Regierung überhaupt ein Gesetz gegen die Leugnung des
Genozids an den Armeniern verabschiedet, hat politische Gründe. Ende April
und Anfang Mai wird das nächste französische Staatsoberhaupt, im Juni dann das
Parlament gewählt. Im Unterschied zu Deutschland leben in Frankreich relativ
wenige Staatsbürgerinnen und -bürger türkischer, dafür umso mehr armenischer
Herkunft.
Es dürfte kein Zufall sein, dass Valérie Boyer, eine Abgeordnete der
Regierungspartei UMP für den Bezirk um Marseille, den Gesetzesantrag ins
Parlament eingebracht hat.
Offiziell kam der Antrag nicht von der Regierung, doch es war klar, dass
diese das Vorhaben unterstützen würde. Präsident Nicolas Sarkozy hatte im
Oktober bei einem Besuch in Eriwan, der Hauptstadt der seit dem Zerfall der
Sowjetunion unabhängigen Republik Armenien, ein solches Gesetz versprochen. In
Armenien wurde dessen Verabschiedung mit Begeisterung aufgenommen. Ein
neugeborenes Baby wurde vergangene Woche sogar auf den Vornamen »Sarkozy«
getauft. Als weiteres Motiv kam bei einer Reihe von konservativen Abgeordneten
sicherlich hinzu, dass sie weitere Hürden gegen einen EU-Beitritt der Türkei
errichten möchten. Seit Jahren instrumentalisieren sie daher den Vorwurf des
Genozids.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen